Freitag, 13. Februar 2004
Berlinale: Out of the Forest
Etwas über einen Film zum Holocaust zu schreiben, ist nicht einfach. Wenn es dann noch ein Film ist, der keine eigene Position bezieht, sondern sich darauf beschränkt, Zeugen zu Wort kommen zu lassen und die Meinungsbildung völlig dem Zuschauer überläßt, wird das ganze nicht einfacher.

OUT OF THE FOREST (Stimmen aus dem Wald),
Israel 2003, 93 Min.

dokumentiert Zeugenaussagen und Erinnerungen von Bewohnern des litauischen Dorfes Ponar, in dem in drei Jahren während des 2. Weltkrieges 100.000 Menschen, davon 70.000 jüdischen Glaubens ermordet wurden. Das irritierende dabei ist, dass es nicht um die deutschen Täter geht, sondern um Litauer und Polen, ihr Handeln und Nichthandeln zur Zeit des Nazilagers und ihr Umgang mit der Erinnerung. Der Berlinale Katalog:

„ 'Freitag, 11. Juli 1941. Das Wetter ist schön. Es weht ein warmer Wind. Der Himmel ist nur leicht bewölkt. Vom Wald her hört man Schüsse.'
Mit diesen Worten beginnt das Tagebuch von Kazimierz Sakowicz, einem Polen aus Ponar, einem kleinen Dorf zehn Kilometer westlich von Vilnius, der Hauptstadt von Litauen. Zwischen 1941 und 1944 wurden hier mehr als einhunderttausend Menschen umgebracht, zum größten Teil Juden. Sakowicz hörte die Schüsse und wusste, dass ganz in der Nähe etwas Seltsames geschah. Er beschloss, heimlich alles, was er hörte und sah, aufzuschreiben. Insgesamt dokumentierte er 835 Tage des Genozids. Ausgehend von Sakowicz’ Tagebuch berichtet OUT OF THE FOREST von Menschen, die in unmittelbarer Nähe eines Massenhinrichtungsplatzes lebten. Zu ihnen gehörte ein junges Mädchen, deren Kühe auf den offenen Gräbern weideten, eine Frau, die gezwungen wurde, für die Mörder zu kochen, ein Mann, der mit den Kleidern der Toten Handel trieb, und eine weitere Frau, die sich weigerte, einen Gefangenen in ihr Haus zu lassen, der wenige Minuten zuvor der Exekution entkommen konnte. Der Film ist auch eine Geschichte über Nachbarschaft und Gemeinwesen in schlechten Zeiten; eine Geschichte darüber, wie grundlegend unterschiedlich die jeweiligen Bevölkerungsgruppen (Polen, Litauer und Juden) die schrecklichen Vorkommnisse wahrgenommen haben und wie heute, sechzig Jahre später, niemand die Verantwortung für das Geschehene übernehmen will und jeder die Schuld bei den Anderen sucht."

In der folgenden Diskussion versuchen sowohl Publikum als auch Regisseure ihrem Unverständnis Ausdruck zu verleihen, dass die Antworten mancher Bewohner nicht einmal um irgendein Maß an Political Correctness bemüht waren. Sicher, darin bestand das schockierende des Films. Aber darin offenbart sich auch ein gutes Stück Wahrheit, ohne die gespielte Dopppelmoral, mit der hierzulande oftmals auf das Thema reagiert wird.

Nachdem denn auch einige Bemerkungen aus dem Publikum über den Nationalismus und die Menschrechtsverletzungen in Litauen gefallen sind, hebt der Regisseur abschließend hervor, daß es nicht um Litauer oder Polen geht, sondern allgemein darum, wie Abwehrmechanismen aufgebaut werden: Nicht wir waren es, die anderen waren es. Das überwiegend deutsche Publikum klatscht dankend Beifall.

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