Sonntag, 24. Oktober 2004
Four to the floor
Der Balkon ist was schon was feines. Besonders an exrem warmen Herbstabenden wie diesem. Eine Zigarette vorm Tatort. Den Bikern auf der Eckenheimer bei kleinen Sprüngen im Stand zusehen. Und freundlich den jungen Nachbarn vom vierten Stock oben drüber bitten, doch den Bass etwas herauszunehmen, nach stundenlangen Four-to-the-Floor Orgien am Nachmittag. Nur die Mücken sind schnell wieder da, wenn es mal wieder wärmer ist.

Und während ich gerade schreiben will, dass R heute nacht leider nicht mehr da ist, um mir die Qual der Mückenstiche abzunehmen, piepst das immer noch auf Besprechung stehende Handy: R ist in Fulda und wartet auf den Anschlusszug nach Berlin. Ein einsamer Tatort also, aber der Mond, der leuchtend in Südwest sein Gesicht zeigt, steht über uns.

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Donnerstag, 21. Oktober 2004
indian summer
es ist sonnig heute morgen in frankfurt. und warm.
der kleine rasenstreifen hinterm haus, auf dem mein fahrrad steht, hat sich in einen sumpf verwandelt. und die sattelnaht ist undicht. während ich an der unibibliothek vorbei fahre denke ich plötzlich an kanada. das herbstlicht erinnert mich daran, jetzt muss es indian summer sein. vielleicht wäre eine taunustour angebracht.

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Dienstag, 5. Oktober 2004
Night Fight
Ein verspäteter Moskito surrst mir, im Bett liegend, am Ohr vorbei und setzt sich an die Wand. Die Pirsch, einen Paperback-Krimi in der Hand, fällt mir leicht, er ist nicht im Training, zu dieser Jahreszeit.

Als ich vorangegangenes schrieb, hatte ich nicht mit jener zweiten Stechmücke gerechnet, die mich der nach einige Male (Gesicht Hand Fuß) stechen sollte, bevor ich sie, vollgesaugt an der weißen Wand über meinem Kopf thronend und sich von dieser im Halbdunkel absetzend, im Morgengrauem mit einer Lyrikanthologie erschlug.

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Mittwoch, 29. September 2004
Come rain come shine
Vorhin, als ich mich in der Mittagspause mit dem Fahrrad auf den Weg nach Hause machte, begann es zu regnen, kurz vorm Oeder Weg, und ich schaffte es gerade noch halbwegs trocken das Fahrrad im Hof anzuschließen.
In der Wohnung wartete ich dann auf die Lieferung meines brandneuen Yamaha E-Pianos, auf dem Balkon stehend sah ich auf das Gewusel der Schüler gegenüber hinab, und ärgerte mich über den Regen, denn es sah ganz so aus, als müsste ich mich den Rest des Tages mit der Ubahn fortbewegen.
Als das Ding samt Sitzbank und stabilem Zieharmonikaständer endlich in der Wohnung war, konnte ich es mir natürlich nicht verkneifen, es gleich aufzubauen und anzutesten, schließlich regnete es eh, also schaltete ich es an, drehte den Volume Regler hoch und liess ein paar Akkorde klingen und ein paar Melodieläufe und während ich da saß, begeistert vom Klang des Instruments, lösten sich draußen die Regenwolken auf und gaben den Blick frei auf blauen Himmel und eine wärmende Herbstsonne...

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Freitag, 17. September 2004
zeitschleife
und wieder die gleiche strecke. der gleiche zug. der gleiche wagen (sieben, die sitzplatzreservierung nehm ich lange schon nicht mehr wahr), der gleiche wunderbare himmel. sogar die flugzeugstreifen scheinen die gleichen zu sein. zeitschleife. ich schlafe ein. ich wache auf. die papierfabrik, der bauernhof im grünen tal. kassel göttingen braunschweig wolfsburg. die lichter berlins. die stadt.

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Dienstag, 14. September 2004
Glückliche Winkel
Am Nachmittag im Zug nach Frankfurt fange ich an dieses Buch zu lesen, das ich vor einigen Woche im Zug gefunden habe. Jemand muss es liegen gelassen haben, jedenfalls lag es dort im Netz an meinem Platz, als ich in Frankfurt einstieg. Ich rührte es nicht an, bis Berlin Ostbahnhof, aber dann, kurz bevor ich ausstieg, warf ich doch einen Blick darauf, es war ein Krimi, Knaur Verlag, ein Autor, von dem ich noch nie gehört hatte, aber ein Krimi war immer gut, und so nahm ich es mit und dann lag es zu Hause auf dem Wohnzimmertisch und ich erinnere mich, dass R kurz darin las, sie fand es spannend, konnte aber nicht weiterlesen, die Zeit erlaubte es nicht und so lag es dort weiter auf dem Wohnzimmertisch, bis es mir heute, als ich gehen wollte, ins Auge fiel.

Als ich dieses Buch anfange zu lesen, überlege ich, wer es wohl bessesen hat und ob es der war, der es gekauft hat und ob diese Person, als sie in Frankfurt ausstieg, oder in Mannheim oder in Stuttgart, es bereits zu Ende gelesen hatte oder versehentlich hatte liegen lassen. Vielleicht war es ein Krimifan, und er hatte sich gleich am Bahnhof in Frankfurt das Buch noch einmal gekauft, es sah aus, als könne man es in einer Bahnhofsbuchhandung bekommen, denn einen angefangenen Krimi konnte man nicht mittendrin abbrechen, das war wie eine Kadenz mit dem Dominantseptakkord stehen zu lassen und dann den Klavierdeckel zuzuschlagen, oder einfach eines morgens nicht mehr zur Arbeit zu kommen, wie der Postbeamte im Buch und da kommt mir die Idee, ob das nicht vielleicht der Grund gewesen war, ob der Leser des Buches vielleicht plötzlich beschlossen hatte, in Frankfurt oder Mannheim oder Stuttgart oder welcher Stadt auch immer auszusteigen und ein neues Leben anzufangen und dann hätte er das Buch natürlich nicht mehr gebraucht, denn es hätte seinen Dienst getan und es wäre der einzige Hinweis auf seinen Verbleib, ein Symbol seines Aufbruchs sozusagen.

Am Ende des zweiten Kapitels schlafe ich ein und als ich aufwache steht ein fülliger Schaffner vor mir mit Guildo Horn Frisur, er möchte mein Ticket sehen und meine Mastercard und als er weitergeht schaue ich aus dem Abteilfenster ins Grün und denke, wie sehr ich diese Jahreszeit doch mag, September Oktober, sie beruhigt mich und ruft Bilder in mir hervor und dann sehe ich mich selbst am Strassenrand, morgens um halb sechs im Sommer in R., am Orstausgang wartend auf einen Lift zum Sommerferienjob in der Fabrik, ich sehe das dürre Gras, den Tau im Tal, die zerquetschte Coladose, über die ich damals ein Gedicht schrieb, sehe an mir herab und mich selbst in Arbeitskleidung und schweren Schuhen, ich spüre noch einmal diesn Augenblick und die Augenblicke drumherum, kraftvoll und frei.

Ich werfe einen Blick auf das Buch im Gepäcknetz vor mir. Es heißt Süden und der glückliche Winkel.

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Montag, 13. September 2004
Sturz in die Lagune
Wim Wenders ist mit seiner antiamerikanischen Schnulze Land of Plenty also leer ausgegangen in Venedig. Dafür hat er dann aber einen Preis vom Papst bekommen. Mit Wim Wenders habe ich ein Problem. So wenig ich ihn mag (und diese Ablehnung nährt sich zum größten Teil aus Interviews, sowie aus seiner Vorliebe für gestreifte Hosen), so sehr mag ich doch seine Bilder und ihren Fluß. Angefangen mit den melancholischen schwarzweiss Aufnahmen von Im Lauf der Zeit, über die blaustichigen Bilder von Paris Texas und den Himmel über Berlin bis hin zur wunderbaren Inszenierung von Milla im Million Dollar Hotel...

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Samstag, 11. September 2004
Flammenmeer
Das Wetter kann sich heut' nicht entscheiden. Gerade noch Donnergrollen und Regen. Und dann schaut R aus dem Fenster und ich höre sie sagen: "Krass. Der Himmel!". Die Bilder bringen's nicht rüber, aber es ist so ein Moment, der einen vorübergehend sprachlos macht und den man halten möchte, aber die Flammen leuchten auf und drehen ins Rot...

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Suppe und Grünzeug
Nachdem einer nach dem andern in den vergangenen Wochen einer Sommergrippe zum Opfer fiel, hats mich nun auch erwischt. Vorgestern abend fings an, mit dröhnendem Kopf und Schweißausbrüchen, gestern dann war ich kaum in der Lage, einen klaren Gedanken zu formulieren und auf der Zugfahrt nach Berlin versank ich in Gedanken und der neuesten Konkret, in die Jacke gehüllt, ohne Powerbook und die liebgewonnene Gewohnheit meine Playlists durchzuhören.

Heute dann ein grauer verregneter Vormittag im Bett, später klärt sich der Himmel, ich esse heiße Suppe mit viel Petersilie und schaue die Post der letzten Woche durch, aus England, USA, Cuba und Neuseeland, die neueste Ausgabe von LEONARDO, ein Katalog der ACM, Nachrichten vom Nesta Futurelab und jede Menge Ämterkram, nachdem mir überhaupt nicht der Sinn steht. Also nachher erstmal nen schönen MAGNUM Abend machen und nochn Schluck Suppe mit Grünzeug.

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Dienstag, 7. September 2004
Über den Wolken
Im Flugzeug nach London schaue ich so lange aus dem Fenster, bis ich die Risse und Flecken auf der Netzhaut sehe. Ich verfolge einen hellen Punkt an der Erde, er bewegt sich, erst denke ich an ein Auto, aber dann merke ich, dass es sich über straßenloses Gebiet hinwegschiebt. Ein Flugzeug also, aber aus 10.000 m Höhe gesehen nahezu am Boden. Wir sind über Holland, jetzt kommt das Meer und nach einigen Schiffen in Küstennähe kann ich nur noch eine große dunkle Fläche erkennen, silbrig gesprenkelt von Schaumkronen und gelegentlich von kleinen weißen Wattebäuchen bedeckt. laut Monitor sind wir 16 Minuten vor Flugziel. Wir fliegen 820 km/h. Die Außentemperatur beträgt -54°.

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