Sonntag, 10. Dezember 2006
before sunset
am freitag schien noch die sonne im prenzlauer berg. ich ging die treppe noch einmal hinunter um im schlecker kurz einzukaufen.

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Warten
Ich habe mich auf langes Warten eingestellt. Langsam schaue ich um mich, Minuten lang verweile ich in einer Haltung ohne die geringste Bewegung. Mit jedem Songwechsel ändere ich den Blick. Ich schaue mir die Karte an, meine Apfelschorle ist erst halb leer und schon abgestanden. Ich habe mich auf langes Warten eingestellt. Ich könnte eine Schokolade Kuba bestellen. Ein Marzipancroissant. Zigaretten. Oder doch noch eine Weile der Fliege zu schauen, die sich gerade auf der Lehne meines grünen Sessels nieder gelassen hat. Die ZIgaretten zuerst. Ich sollte mir meine Zeit einteilen. Ich habe mich auf langes warten eingestellt. Auf Stunden, auf Tage. Auf Wochen vielleicht Monate. Darauf, dass ich die Stücke nach einer Weile wieder erkenne, ihre wundersamen Harmonien, die so dahinplätschern und mich einbalsamieren so dass ich es vermag, regungslos da zu sitzen, Sekunden lang, Minuten, Stunden vielleicht Tage. Ich warte bis ich vergessen haben werde, worauf. Und dann kommt es doch, letzte Worte, zerhackt, unverständlich aus der Ferne, minutenlanges Schweigen. Kann es sein? Warte mal ganz kurz. Ich warte. Ganz kurz. Dann nicht mehr. Zwölf Minuten Stille sind ein langes Ende. Es ist Schlag zwölf mittags. An einem Sonntag im Dezember. Ich habe hier nichts mehr verloren.

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Lieblos
An einem Sonntag im Dezember sitze ich in einem grünen Sessel. Ein Akkordeon spielt, ein Glockenspiel, ich schaue durch den langen Raum und sehe mich im Spiegel hinter dem Tresen. Ich habe den Mantel an. Geigen treten auf. Die Landschaft tritt ab. Dahinter kommt ein breiter unendlicher Asphaltweg zum Vorschein, mit zertretenen Kaugummis gesäumt, Flecken in der Nacht, mit Beulen von der Hitze des Sommers. Ich blicke kurz auf und sehe, dass ich angesehen werde. Was sieht sie? Ein müdes kaltes Gesicht aus Stein. Dann ein Klavier. Wie kommt man von einem Akkord zum nächsten? Man lässt die Finger fallen und lässt sie laufen einen kleinen Weg über die Stufen, die Treppe hinunter in der grüngelben Hausflur, sie stoßen die Tür auf in einen grauen Wintertag, sie laufen leichtfüßig über den zerrissenen Gehweg. Und dann noch diese traurige Musik, sagt eine junge Frau dort drüben. Im Sommer ist der Weg staubig. Jetzt ist er hart gefroren. Eine Kadenz in Moll lässt einen Film ablaufen, der erst wenige Stunden alt ist aber in diesem Moment wie aus einem anderen Jahrhundert ist, so unverständlich scheint das Handeln der Figuren, sie stolpern, in schnellen unbeholfenen Bewegungen, sie sind stumm, sie laufen nebeneinander her, wieder dieser Weg oder ein anderer, in einem Park. Eine Zwischentafel zeigt die einzigen Worte des Films, in einer altmodischen Schrift, hell auf dunklem Grund: "Warum?" "Ich weiß es nicht." In einem italienischen Restaurant mit viel zu hohen Wänden hängt ein Foto auf dem Michelangelo Antonioni an einer verweinten und kalten Monica Vitti vorbei ins Leere schaut. Sein Gesicht erzählt eine lange Geschichte, ihres eine kurze. Darunter sitzen ein Mann eine Frau ein Kind. Die Erwachsenen schweigen sie rauchen ihre Blicke passen sich dem Bild über ihnen an. Sie sitzt unter ihm, er unter ihr. Dahinter wieder eine Straße, schwarzweiß, mit zerfallenen Häusern, ein liebloser Tag kalt unbarmherzig gefühllos bis zum letzten Ton des Films, ein langer genervter abschätziger Seufzer von ihm oder ihr, ein Kopf der sich wegdreht im Kissen, ein letzter Blick in der Tür, bevor sich die Nacht über die Szene senkt, die Kamera zurückfährt aus dem Zimmer aus dem Haus aus dem Vorort über Stadt, das Klavier einsetzt launisch verspielt näher kommt je weiter das Bild der Stadt rückt, das Ende verheißend, man wartet auf die drei letzten Buchstaben des Film, kein Wort, ein Symbol, dann ist die Musik vorbei, in die Stille klingen die dumpfen Stimmen der Gäste, ihre Schritte auf dem Parkett, an einem Sonntag im Dezember in einem Café an einer Straße in einer Stadt, die es nicht gibt.

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